xplore04-Xtreme Sinnlichkeit von Christine Janson (CONNECTION SPEZIAL VI/04)
Durch Hingabe und Unterwerfung lernen
Ehe wir dem hässlichen Signalwort "Perversion" in diesem
Zusammenhang Raum geben: BDSM ist ein Sammelbegriff für sexuelle
Aktivitäten zwischen Erwachsenen, die sich im gegenseitigen
Einverständnis mit dominant-submissiven Rollenspielen, physischer
Beschränkung und der Lust am Schmerz auseinandersetzen.
Na gut, aber was hat das mit Tantra, was mit Liebe zu tun? Wie kann man
einem Menschen, den man liebt, Schmerzen zufügen oder ihn
beherrschen wollen?
Im Versuch, das Paradox zu erklären, verweist Felix Ruckert auf
die Bedeutung der Polarität. "Sex ist nicht demokratisch", meint
der Choreograph ungewöhnlicher Tanz-
Performances. "Es geht dabei immer um verschiedene Rollen, die wir
miteinander ausprobieren. Zum Lernen gehören Hingabe und
Unterwerfung; das führt zur spirituellen Weiterentwicklung". Er
wünscht sich einen kreativeren Umgag mit Sexualität, ohne
falsche Scham und moralische Bewertungen. So könnten Liebende in
tiefe Kommunikation miteinander treten und isch gemeinsam
weiterentwickeln.
Wie Felix Ruckert in seinen Tanz-Performances die Grenzen zwischen
Aktuer und Zuschauer verwischt, so verschwammen beim Betrachten
der Besucher auf der Xplore auch meine mitgebrachten Vorstellungen mit
der vorgefundenen Realität. Wer hierher gekommen war, um in
sinnlichen Begegnungen die Trennung zwischen Kunst, Erotik und
spiritueller Erfahrung aufzugeben, war zum Beispiel überraschend
unspektakulär gekleidet:
Statt Lack, Leder oder indischer Saris beherrschten bequeme
Jogging-Anzüge das Bild. Fast schon beruhigend, dass in den
Workshops doch noch einige Spitzentangas zum Vorschein kamen, sobald
die biedere Legging-Hülle gefallen war...
Rituelle Fußwaschung
Was meine Hüllen angeht, so habe ich ganz unten damit angefangen,
sie fallen zu lassen: delta RA´i wollte eine rituelle
Fußwaschung an mir demonstrieren.
Als bekennender Sadist lebt er mit seiner Partnerin Caprice eine
liebevolle SM-Beziehung, getragen von Respekt und Achtung. Delta
RA´i ist als Manager und
Artist in verschiedenen freien Theatergruppen in Berlin tätig -
1987 war er Mitbegründer der ersten gemeinsamen
deutsch-japansichen Butoh-Tanzgruppe, seit 1995
leitet er gemeinsam mit Yumiko Yoshioka das Tanzprojekt "eX...it!" auf
Schloss Bröllin.
Seine 1998 entwickelten Fußwaschungen gehen auf ein Ritual
zurück, mit dem Menschen bereits zur Zeit Christi ihre
gegenseitige Wertschätzung zum Ausdruck brachten. Heute noch
wäscht der Papst ja seinen Kardinälen am Gründonnerstag
die Füße als Zeichen von Demut und Hingabe.
Mit geschlossenen Augen wartete ich gespannt auf die erste
Berührung, als meine Füße mit sanftem aber bestimmten
Griff in die Wanne gehoben wurden. Einfühlsame Hände
massierten Ferse, Sohle und Zehen unter Wasser ich fühlte mich
gehalten und getragen. Schwerelosigkeit bereitete sich im ganzen
Körper aus, und ich fühlte
mich in meinem gesamten Sein berührt. Tränen kullerten mir
über die Wange; es war so schön, sich hinzugeben und
geschehen zu lassen. Auch die Zuschauer fühlten
sich alsbald in einen meditativen Zustand versetzt und wurden Teil
dieser liebevollen Kommunikation.
delta RA´is Workshop über Flagellationsrituale empfand ich
dann als krasses Kontrastprogramm, orthodox-katholische
Geißelungen wollten mir dabei nicht aus dem Sinn gehen. Ehrlich
gesagt: Wenn man hört, dass beim Peitschen die Hals- und
Nierengegend ausgespart werden müssen, kommen schon gemischte
Gefühle auf. Dennoch geht es für Delta RA´i im Sadismus
eben gerade nciht darum, seine Aggressionen am Partner auszulassen. Im
Gegenteil soll stets in einem detaillierten Vorgespräch
abgeklärt werden, wie weit der Schmerz gehen darf. Mir wurde
erklärt, dass im SM der dominante Part die dienende Rolle inne
hat, er soll dem anderen Lust bereiten. Es obliegt dem passiven Part,
die Sache jederzeit mit einem zuvor vereinbarten codewort zu beenden.
Viel Einfühlungsvermögen ist erforderlich, um seinen Partner
liebevoll an die eigene Schmerzgrenze heranzuführen und
schließlich in der Verschmelzung gemeinsam eine Erweiterung des
Bewusstseins zu erfahren. Auf diese Verbindung zwischen Tantra und BDSM
habe ich bereits in meinem Buch "Lust auf Liebe - Erotische Phantasien
und tantrische Spiele" hingewiesen. Wo tantrische Übungen dazu
dienen, die sinnliche Wahrnehmung zu verfeinern, da setzt BDSM oftmals
auf Sinnesentzug und Schmerz als gegenpoligen Weg zur Ekstase. Dabei
wird ddie innere Wahrnehmung verstärkt und auf das Wesentliche
reduziert; der devote Partner kann mit Hilfe seines "Doms" in eine
Wirklichkeit vordringen, die hinter dem physischen Schmerz verborgen
liegt.
Ob Tantra oder BDSM, hier wie dort ist eine Verschmelzung von
körperlicher und energetischer Realität jenseits unseres
verstandesmäßigen Begreifens angestrebt.
Was im Tantra der Zustand der Ekstase genannt wird, das bezeichnen
SM-Fans als "Fliegen". Davon war ich beim Ausprobieren der
verschiedenen Folterinstrumente allerdings meilenweit entfernt. Eher
harmlos aussehende Peitschen erzeugen den gemeinsten Schmerz - man ist
gut beraten, das Instrument seiner Wahl erst am eigenen Oberschenkel
auszuprobieren, ehe man seinen Partner damit kontrontiert. Auch fand
ich es zunächst gar nicht einfach, die Peitsche locker aus dem
Handgelenk zu schwingen. Das sollte sich wortwörtlich schlagartig
ändern, als ich meinen Lustgewinn und die Erregung meines devoten
Partners entdeckte....
Menschliche Mobiles
Bei einem anschließenden Gespräch mit begeisterten
Bondage-Fans versuchte ich, dieser Faszination auf den Grund zu kommen.
"Das ist Hingabe total", beschrieb Anna* ihre eigenen Erfahrungen. "Du
kannst nichts mehr tun und musst einfach geschehen lassen. vor allem
die Schwerelosigkeit beim Hängebondage ist einfach klasse, aber
das musst du schon selbst ausprobiert haben". Gesagt, getan. Doch mein
Körper reagierte eher unwillig auf die engen Verschnürungen,
es verschlug mir fast den Atem Ich ließ mir daher lieber
nur die Handgelenke fesseln, was freilich bereits genügte, um
starke Emotionen in mir wach zu rufen.
Wachs in geschulten Händen
Nach all den harten SM-Techniken verlangten Seele und Körper nun
nach Streicheleinheiten. Die bekam ich bei der Demonstration einer
tantrischen Massage durch Sabine Hofmann, die auch den Erotikladen "La
Luna" in Berlin betreibt. Sabine eröffnete die Massage mit einem
erotischen Gedicht und ieß ihre Hände langsam über
Füße und Arme ihrer Partnerin Carpice gleiten. Diese war
zuvor rituell entkleidet, mit einem nassen Lappen gewaschen, mit Federn
gestreichelt und dann mit duftendem Öl gesalbt worden. Andershalb
Stunden später fühlte ich mich alleine vom Zusehen fast so
entspannt wie Caprice. Da fiel es mir leicht, auf die Orgasmusschule
des Diamond Lotus Instituts zu verzichten. Zumal mir bereits am
Mittagstisch wenig begeistert darüber berichtet worden war.
Je 6 Teilnehmer hätten sich im Kreis gruppiert, um in einer
Vertrauensübung die Person in der Mitte aufzufangen.
Anschließend sollte sich einer in den Kreis setzen
und seinen letzten Orgasmus nachspielen. Zum krönenden Abschluss
durften sich dann alle gegenseitig an die Genitalien fassen. Weder
meiner Tischnachbarin noch mir wollte
es so recht gelingen, in diesen Übungen eine tiefe tantrische
Bedeutung zu entdecken.
Sinnlicher wurde es bei tantrischen Beckenübungen uund rituellen
Begegnungen zwischen Shiva und Shakti, die Ilka Stödtner
anleitete. Ausserdem warteten in Berlin noch drei Workshops der
Tantra-Lehrerin Maggie Tapert, die als "heilige Hure" Energiearbeit und
Seuxalität miteinander verbindet. Einer ihrer Kurse wrude als
"Orgasmatron" beschrieben - das wollte ich um keinen Preis verpassen
und verzichtete schweren Herzens auf den Vortrag "Kommunikation der
Subkulturen". Stattdessen wurde ich also aufgefordert mir die Augen zu
verbinden und mich im Kreis der Gruppe selbst zu befriedigen. Schon
bald füllte sich der Raum mit lustvollem Stöhnen und ich war
mehr als einmal versucht, die Augenbinde zu verschieben...
Verständnis, Toleranz & Inspiration
Bei
alledem wurde mir klar, dass wir gemeinsam daran arbeiten, eine
neue Form der kreativen Sinnlichkeit zu schaffen: Die Zukunft
gehört dem gegenseitigen Verständnis, der Toleranz und er
Inspiration. Manch Tantriker mit Eso-Brett vor dem Kopf könnte
durchaus ein wenig mehr spielerische Leichtigkeit vertragen, und es
schadet keinem von uns, sich mit der Dunkelheit des eigenen Schattens
noch int4ensiver auseinander zu setzen. mag es den BDSM-Anhängern
auch ein bisschen an Bewusstsein fehlen, die Wahrheit liegt wohl wieder
einmal in der Mitte. Nicht umsonst ist Tantra ein integrativer
Erleuchtungsweg - der kann uns an vielerlei Orte führen, aber kaum
je in die Einöde eines unerfüllten Liebeslebens nach langen
(Ehe-)Jahren.
C. Janson